Was ist das Bellagio-Modell?
- es ist ein evidenzgestützter Bezugsrahmen zur Bewertung niedrigschwelliger Versorgung kranker, vulnerabler und gesunder Menschen
- es ist konzeptionell, länder- und systemübergreifend und überwindet Grenzen zwischen Versorgungssektoren und Institutionen
- es ist ein Diagnose- und Bewertungsinstrument
Welche Ziele hat das Bellagio-Modell?
"Auf Basis der aktuellsten Forschung, theoretischer Modelle und praktischer Erfahrungen sollen für die leistungsfähige Primärversorgung im 21. Jahrhundert essentielle Erfolgsfaktoren identifiziert werden. Bei der Umsetzung in Praxis, Planung und Politik soll das Modell unterstützend tätig sein."
Was beinhaltet das Bellagio-Modell?
Das Modell setzt sich aus 10 sich ergänzenden Kernelementen zusammen. Von bevölkerungsorientierter Primärversorgung spricht man, wenn alle zehn Elemente, die sich gemeinsam bedingen, gleichermaßen berücksichtigt sind und die Umsetzung zu einem hohen Grad erreicht ist.
Die zehn Kernelemente des Bellagio-Modells.
Quelle: Schlette S, Lisac M, Wagner E, Gensichen J. Das Bellagio-Modell: ein evidenzgestützter,internationaler Bezugsrahmen für bevölkerungsorientierte Primärversorgung. Erste Erfahrungen. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwesen. 2009;103(7):467-74.
1. Gemeinschaftliche Führung
Leistungserbringer:innen, Kostenträger:innen, Expert:innen und politische Entscheider:innen entwickeln gemeinsam eine Vision für die primäre Gesundheitsversorgung eines Landes bzw. einer Region. Dabei leisten unabhängige Steuerungsgremien, die von Land zu Land institutionell unterschiedlich verankert sein können, strategische Unterstützung für die Neuausrichtung der Primärversorgung.
2. Public Trust
Das – konstruktive, nicht blinde – Vertrauen der Bevölkerung in die Verlässlichkeit und Legitimation von Politik und politisch Verantwortlichen sowie in die Zuverlässigkeit und Transparenz von Entscheidungsstrukturen des Gesundheitswesens ist unabdingbar. Vertrauen ins Gesundheitswesen und in die Versorger beruht auf unmittelbar positiven Erfahrungen mit Leistungserbringern bzw. auf verlässlich zugänglichen, qualitativ hochwertigen und sicheren Gesundheitsangeboten.
3. Vertikale und horizontale Integration
Die strukturierte Zusammenarbeit zwischen Primärversorgern und Sekundärversorgung – d.h. Fachärzt:innen und Krankenhäuser - gilt es auszubauen (vertikal) und die sektorübergreifende Integration von Gesundheits- und anderen relevanten Fachkräften, Einrichtungen und Angeboten in der Gemeinde zu stärken (horizontal).
4. Fachliche Netzwerke vor Ort
Fachliche Netzwerke vor Ort wie z.B. Praxisnetze, Qualitätszirkel, oder Laborgemeinschaften bieten die Möglichkeit zur gemeinsamen Fortbildung und Qualitätsförderung, aber auch zu Effizienzsteigerungen durch die Teilung gemeinsamer Kosten für z.B. Labor oder Patient:innenschulungen.
5. Standardisierte Datenerhebung
Standardisierte Datenerhebung beinhaltet die systematische Entwicklung und Evaluation von Indikatoren zur Messung von Zugang, Qualität, Sicherheit und Effizienz in der Primärversorgung. Diese Indikatoren liefern die Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungsfindung auf allen Ebenen.
6. Forschung und Entwicklung
Systematische Reviews und Meta-Analysen, d.h. die Kombination von Studien zur Anwendungsforschung in der klinischen Praxis mit Untersuchungen zu bevölkerungsorientierten Versorgungsforschung tragen zu angemessenen Entscheidungen in Praxis und Management bei, in dem sie die Evidenz bzw. das beste verfügbare Wissen bereitstellen. Auch bei F & E ist die Informationstechnologie eine tragende Säule.
7. Vergütungsmix
Kopfpauschalen für präventive und kurative Leistungen werden mit finanziellen Anreizen für verbesserte Behandlungsergebnisse, Versorgungskoordination und Patientenzufriedenheit sowie für Datendokumentation und Einsatz leistungsfähiger Gesundheitsinformationssysteme ergänzt.
8. Infrastruktur
Die Infrastruktur der Primärversorgung kann durch Bereitstellung von über Sektoren und Settings hinweg angelegte evidenzbasierten Leitlinien und Informationstechnologie ausgebaut werden. Strukturierte Behandlungsprogramme, individuelle Patient:innenbegleitung durch nichtärztliches Gesundheitspersonal und die Unterstützung des Selbstmanagement der Patient:innen stärken die Infrastruktur der Primärversorgung.
9. Aktive Praxisverbesserungsprogramme
Aktive Praxisverbesserungsprogramme dienen der Verbesserung der täglichen Arbeit auf allen Ebenen des Systems. Instrumente des Qualitätszyklus können hier unterstützend wirken.
10. Bevölkerungsorientiertes Management
Bevölkerungsorientiertes Management entlang des Kontinuums der Gesundheitsversorgung begleitet aktiv sowohl gesunde Bevölkerungsgruppen (Prävention, Gesundheitsförderung) als auch akut und chronisch kranke Patient:innen (Behandlung, Schulung, Self-Care Management).
Das Modell entfaltet seine Wirkung nicht im einzelnen Element, sondern in der synergistischen Wirkung aller Faktoren.
Wer steht hinter dem Bellagio-Modell
Eine interdisziplinäre Gruppe von 24 Expert:innen aus neun Ländern traf sich im Frühjahr 2008 in Bellagio am Comer See.
Die Initiator:innen dabei waren: Sophia Schlette (Gütersloh), Ed Wagner (Seattle) und Jochen Gensichen (München)
Teilnehmer der Bellagio-Konferenz
Anne Frølich, Institute of Public Health, University of Copenhagen (Dänemark); Frede Olesen, Research Unit for General Practice, Aarhus University (Dänemark); Norbert Donner-Banzhoff, Institut für Allgemeinmedizin, Universität Marburg (Deutschland); Jochen Gensichen, ehemals Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Jena, Friedrich-Schiller-Universität (Deutschland); Thomas Heil, Berlin (Deutschland); Melanie Lisac, Themenfeld Gesundheit, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh (Deutschland); Sophia Schlette, Themenfeld Gesundheit, Bertelsmann Stiftung, Berlin/Gütersloh (Deutschland); Ain Aaviksoo, PRAXIS Center for Policy Studies, Tallinn (Estland); Yann Bourgueil, Institut de recherche et documentation en économie de la santé (IRDES), Paris (Frankreich); Marianne Samuelson, Department of General Medicine, University of Caen-Basse, Normandie (Frankreich); Bert Vrijhoef, Department of Nursing Science, Maastricht University (Niederlande); Michel Wensing, Centre for Quality of Care Research (WOK), Radboud University Nijmengen (Niederlande); Zbigniew Krol, Public Health Institute, Jagiellonian University, Krakau (Polen); Josep Argimon, Catalan Health Service, Barcelona (Spanien); Tino Martí, Catalan Institute of Health Service, Barcelona (Spanien); Jennifer Dixon, Nuffield Trust, London (Vereinigtes Königreich); Derek Feeley, National Health Service Scotland (Vereinigtes Königreich); Nick Goodwin, King’s Fund, London (Vereinigtes Königreich); Chris Ham, Health Services Management Centre, University of Birmingham (Vereinigtes Königreich); Sophia Chang, California Healthcare Foundation, Oakland (Vereinigte Staaten); Charles M. Kilo, GreenField Health and TheGreenField Group, Portland (Vereinigte Staaten); Barbara Starfield, Johns Hopkins University, Baltimore (Vereinigte Staaten); John Tooker, American College of Physicians (ACP), Washington DC (Vereinigte Staaten), Ed Wagner, MacColl Institute for Healthcare Innovation, Seattle (Vereinigte Staaten)
Publikationen und Downloads
Downloads Country Case Studies
- Dänemark (Denmark) [PDF]
- Deutschland (Germany) [PDF]
- Frankreich (France) [PDF]
- Niederlande (Netherlands) [PDF]
- Polen (Poland) [PDF]
- Spanien (Catalonia) [PDF]
- Vereinigtes Königreich (UK) [PDF]
- Vereinigte Staaten (USA) [PDF]
- Synopsis Druckversion [PDF]
Fachpublikationen
- Schlette S, Lisac M, Wagner E, Gensichen J. Das Bellagio-Modell: ein evidenzgestützter,internationaler Bezugsrahmen für bevölkerungsorientierte Primärversorgung. Erste Erfahrungen. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwesen. 2009;103(7):467-74. [Link]
- Sachverständigenrat. Koordination und Integration - Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens - Sondergutachten 2009, Langfassung. Bonn: Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen; 2009.
Vorträge
- Gensichen J. Versorgung chronisch Kranker - Bevölkerungsorientierte Primärversorgung. Vortrag GMK-Forum. Erfurt: 24.06.2009. [PDF]
- Schlette S, Frohlich A, Martí T. The Bellagio Model - Population-oriented Primary Care: A diagnostic grid to assess, improve and enhance primary care. Vortrag BMJ International Forum, Session B5. Berlin: 18.03.2009. [PDF]