21.12.2016
Kämpfen wie ein Indianer
Erstmals erhält ein Patient an der Jenaer Kinderklinik eine neue Antikörpertherapie gegen Leukämie
Jena (ukj/boe). Der kleine Fredrik kann wieder unbeschwert lachen und toben. Denn er hat seine Leukämie-Erkrankung besiegt – und das bereits zum zweiten Mal. Im Alter von drei Jahren erkrankte der Junge aus Jena an akuter lymphoblastischer Leukämie, kurz ALL. Diese Erkrankung des blutbildenden Systems ist die häufigste bösartige Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Unbehandelt kann sie innerhalb weniger Wochen zum Tode führen. An der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Jena (UKJ) behandelten die Mediziner Fredrik mit mehreren Chemotherapie-Zyklen, um die Leukämiezellen in seinem Körper zu zerstören. Nach insgesamt zweijähriger Behandlung waren keine Krebszellen mehr nachweisbar.
Doch im Januar 2016, nur vier Wochen nach Ende der Ersttherapie, kam der Schock: Fredrik erlitt einen Rückfall. „Bei einer Kontrolluntersuchung haben wir wieder Leukämiezellen in seinem Knochenmark nachgewiesen. Wir sprechen dabei auch von einem frühen isolierten Knochenmark-Rezidiv“, sagt Prof. Dr. Bernd Gruhn, Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKJ. Etwa jedes siebte an ALL erkrankte Kind erleidet einen Krankheitsrückfall. Die Heilungschancen sind deutlich ungünstiger als bei einer Ersterkrankung, vor allem, wenn die Leukämiezellen nur im Knochenmark lokalisiert sind. „Der Rückfall war eine Katastrophe für uns, die uns regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen hat“, erinnert sich Bettina, Fredriks Mutter.
„Mit einer Chemotherapie allein bekommt man ein solches Rezidiv nicht unter Kontrolle. Deshalb war die Stammzelltransplantation zu diesem Zeitpunkt Fredriks einzige Chance“, so Prof. Gruhn. Fredrik nahm an einer internationalen Therapieoptimierungsstudie teil, um die Heilungschancen von Kindern zu verbessern, die wie er erneut an Leukämie erkrankt sind. Normalerweise erhalten Patienten zur Rezidiv-Behandlung vier Chemotherapie-Blöcke, um die Krebszellen zu reduzieren. Im Rahmen der Studie wird nach dem Zufallsprinzip entschieden, ob der vierte Chemotherapie-Zyklus durch eine innovative, vierwöchige Antikörpertherapie ersetzt wird. Fredrik ist bis heute das erste und einzige Kind in Deutschland, das diese Antikörpertherapie erhielt. Der Antikörper wurde dem kleinen Patienten vier Wochen lang über eine Pumpe kontinuierlich verabreicht – 60 Milliliter in 24 Stunden. „Fredrik hat die Behandlung insgesamt sehr gut vertragen. Da die Antikörpertherapie besser verträglich ist als eine Chemotherapie, konnte Fredrik diese Phase sogar fast die gesamte Zeit zu Hause verbringen“, so Prof. Gruhn. „Vor allem die Behandlung mit dem Antikörper war äußerst effektiv. Nach vier Wochen waren auch die letzten Leukämiezellen vernichtet.“
Deshalb konnten die Jenaer Kindermediziner Fredrik am 1. Juni die Knochenmark-Stammzellen eines gesunden Fremdspenders transplantieren - pünktlich zum Kindertag. Es folgte eine schwere Phase für die Familie, denn Fredrik ging es zunächst sehr schlecht. Er bekam hohes Fieber. Da sein Immunsystem stark geschwächt war, folgten zudem nacheinander zwei Infektionen. „Gerade in dieser Zeit bekamen wir sehr viel Halt von den Ärzten und Pflegern auf der Station. Sie reagierten sofort auf Fredriks Zustand und machten uns Mut, dass ein solcher Verlauf durchaus nichts Ungewöhnliches sei“, denkt Vater Heiko zurück an das entgegengebrachte Verständnis und Mitgefühl. Am 18. Juni erhielten die Eltern schließlich die erlösende Nachricht: Die gespendeten Zellen sind ins Knochenmark gewandert und dort angewachsen. Die Blutbildung setzt wieder ein. Von diesem Zeitpunkt an ging es bergauf. Ende Juli konnte der kleine Kämpfer endlich nach Hause entlassen werden. „Sobald es unserem Fredrik besser ging, hat er wieder mit seinen geliebten Indianer-Figuren gespielt, Lego gebaut oder ist herumgetobt. Er konnte einfach wieder unbeschwert Kind sein“, freut sich seine Mutter Bettina.
Regelmäßig kommen Fredrik und seine Eltern nun zur Nachkontrolle in die Jenaer Kinderklinik. Und das mit Erfolg: Weder 30, 60 oder 100 Tage nach der Stammzelltransplantation sind Leukämiezellen in seinem Knochenmark nachweisbar. „Fredrik ist sehr gut drauf. Herz, Lunge, alles funktioniert einwandfrei“, bestätigt Prof. Gruhn den guten Verlauf der Therapie. „Wir sind wirklich froh, hier am UKJ in Behandlung zu sein. Zu jeder Zeit haben wir uns gut aufgehoben gefühlt. Egal ob Pfleger oder Ärzte – jeder hat uns ermutigt, weiter zu kämpfen“, blickt Vater Heiko auf die letzten Jahre zurück.
Fredrik sieht gut gelaunt in seine Zukunft. Er freut sich auf eine schöne Weihnachtszeit, die er lachend und tobend zusammen mit seinem großen Bruder und seinen Eltern zu Hause verbringen kann. Und auch im nächsten Jahr kommt großes auf ihn zu. Denn im Sommer wird Fredrik eingeschult.
Stichwort: Antikörpertherapie
Eine neue Antikörpertherapie soll helfen, mehr Patienten mit einem frühen Rückfall der Leukämie zu heilen. Bei dem in Deutschland entwickelten Medikament namens „Blinatumomab“ erhält der Patient per Transfusion einen Antikörper, der sowohl Leukämiezellen als auch Immunzellen, auch T-Zellen genannt, erkennt und an sich bindet. Damit werden die beiden Zellen miteinander in Kontakt gebracht, wodurch die T-Zellen die Krebszellen zerstören können. Die Therapie ist äußerst effektiv. Für Erwachsene ist diese Methode bereits seit einiger Zeit verfügbar. Fredrik ist das erste und bislang einzige Kind in Deutschland, das diese Behandlung im Rahmen der Optimierungsstudie erhielt.