Wie sich die Zusammensetzung der Darmflora und ihrer Stoffwechselprodukte auf das Gehirn auswirkt, erforscht eine Arbeitsgruppe an der Klinik für Psychiatrie
Bei etwa 20 Prozent liegt das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken. Obwohl inzwischen mehrere wirksame Medikamente und nicht-medikamentöse Therapieverfahren zur Verfügung stehen, verbessern diese bei einem Teil der Betroffenen die Symptome nur unzureichend. Auf der Suche nach der Ursache für diesen unterschiedlichen Behandlungserfolg bei Depressionen ist die Mikrobenwelt des Darms und Mundraums in das Visier der psychiatrischen Forschung gerückt. „In letzter Zeit verdichteten sich die Hinweise auf eine entscheidende Beteiligung einer veränderten Mikrobiom-Zusammensetzung an der Entstehung depressiver Symptome. Dabei üben unserer kommensalen Bakterien insbesondere über die Verstoffwechslung von Nahrungsbestandteilen Einfluss auf psychische Funktionen aus“, so Dr. Alexander Refisch.
Der Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist Teil einer Forschungsgruppe, die diesen Zusammenhang weiter untersucht. Das Projekt im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit soll dazu beitragen, klinische Depressions-Untergruppen biologisch näher zu charakterisieren. Alexander Refisch: „Wir konzentrieren uns auf Patientinnen und Patienten mit einer bestimmten, schwer behandelbaren Form der Depression, bei denen die vom Mikrobiom moderierten Immun- und Entzündungsbotenstoffen auffällig verändert sind.“
Hierfür untersucht die interdisziplinäre Forschungsgruppe, der auch Mikrobiologen, Zahnärzte, Internisten, Ernährungs- und Sportwissenschaftler angehören, zunächst mit Genanalysen die Zusammensetzung der Darmflora. Massenspektrometrische Messungen erfassen dann die Stoffe, die der Stoffwechsel der humanen Mikroben hervorbringt und auch die Stoffe, die die Zellen des Darms als Reaktion produziert. Zur Ergänzung wird auch die Mundflora zahnmedizinisch erfasst und analysiert. Auf dieses Weise entsteht ein sehr umfangreiches biochemisches Bild, das das klinische Erscheinungsbildung prägt. Die Ergebnisse werden dann den entsprechenden Werten von gesunden Vergleichspersonen gegenübergestellt.
Die klinischen Forscher wollen dann in kontrollierten Studien testen, wie sich Lebensstilveränderungen auf den individuellen Fingerabdruck des Darmmikrobioms und insbesondere auf die neuroaktiven Stoffe darin auswirkt. Die Studienteilnehmer sollen zum einen ein dreimonatiges Bewegungsprogramm absolvieren, auch ein spezielles Ernährungsregime ist geplant. „Wir wollen herausfinden, ob sich diese Interventionen insbesondere für die Patientengruppe mit schwer behandelbaren Depressionen günstig auswirken“, so Alexander Refisch. „Langfristig könnten dadurch möglicherweise individualisiertere Therapieansätze abgeleitet werden.“