Empfindliches Ökosystem – unser Mikrobiom
In unserem Darm existiert eine Art eigenes kleines Universum: Billionen von Mikroorganismen bewohnen nicht nur unseren Darm, sondern verrichten dort für uns lebenswichtige und gesundheitsfördernde Aufgaben. Sie regulieren unser Immunsystem und helfen dabei, wichtige Vitamine und Botenstoffe herzustellen. Und sie erzeugen aus für uns unverdaulichen Kohlenhydraten, also Ballaststoffen, kurzkettige Fettsäuren wie beispielsweise Buttersäure. Kurzkettige Fettsäuren wiederum sind wahre Multitalente: Sie sind die Hauptenergiequelle für unsere Darmschleimhautzellen, wirken entzündungshemmend und stärken unsere Darmbarrierefunktion. Und sie halten Krankheitserreger fern, indem sie den ph-Wert in unserem Dickdarm niedrig halten.
Die Gesamtheit der Lebewesen im Lebensraum Darm mitsamt ihrem genetischen und funktionellen Potential bezeichnen wir als Darm-Mikrobiom, auch intestinales Mikrobiom genannt. Es ist ein regelrechtes Super-Organ.
Mehr Mikroorganismen als menschliche Zellen
Die meisten Bewohner unseres Mikrobioms, nämlich über 90 Prozent, sind Bakterien. Daneben leben Viren, Bakteriophagen und Pilze in unserem Darm. Die allermeisten dieser Mikroorganismen bewohnen unseren Dickdarm, ein Bruchteil unseren Dünndarm. Wie viele Billionen an Bakterien genau in unserem Darm leben, ist nicht konkret zu beziffern – ihre Anzahl übersteigt aber die der Zellen im gesamten menschlichen Körper. „Zusammengenommen wiegen unsere Darmbakterien mehr als unsere Niere, etwa 200 Gramm“, erklärt Dr. Johannes Stallhofer, Oberarzt in der Klinik für Innere Medizin IV.
Auf die Vielfalt kommt es an
Unser Mikrobiom ist ein empfindliches Ökosystem. Das heißt: Die Vielfältigkeit und Häufigkeit der Bakterien machen es aus. Ist dieses Ökosystem gestört, sind also nicht ausreichend vielfältige Bakterien vorhanden, funktioniert es nicht richtig. „Ein krankes Mikrobiom zeichnet sich durch eine Verringerung der Vielfalt verschiedener Bakterien aus“, sagt Stallhofer. „So auch bei einer Reihe von chronischen Erkrankungen, darunter chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.“ Beobachten lässt sich zudem eine Verschiebung der Häufigkeitsverteilung der Hauptbakterienstämme unseres Mikrobioms: den Firmikuten und den Proteobakterien. „Bei Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa besteht häufig eine Verminderung der Firmikuten und gleichzeitig ein Übermaß an Proteobakterien“, weiß Stallhofer. Zu den Firmikuten gehört zum Beispiel das äußerst hilfreiche Bakterium „Faecalibakterium Prausnitzii“. Es ist eines der Hauptproduzenten der so wichtigen Buttersäure im Darm. Um seine Arbeit zu verrichten, braucht es als „Futter“ lediglich Pflanzenfaserstoffe, also Obst und Gemüse. Je nachdem, wie wir uns ernähren, verschiebt sich also unsere Bakterienzusammensetzung. „Der Mensch ist, was er isst“, könnte man sagen. Bei Patienten mit Morbus Crohn basiert auf dieser Theorie eine experimentelle Ernährungstherapie. Sie setzt auf pflanzenreiche Kost, vor allem Kartoffeln, Obst und Gemüse, und meidet tierische Fette sowie rotes Fleisch. Bereits nach kurzer Zeit lässt sich feststellen, dass der Anteil der Proteobakterien im Mikrobiom zurückgedrängt wird und der Anteil der Firmikuten wieder überwiegt.
Neuer Therapieansatz: Fäkaler Mikrobiomtransfer in Kapselform
Einem Ungleichgewicht in der Vielfalt und Zusammensetzung des Mikrobioms liegt auch die Idee zu Grunde, Menschen mit Colitis ulcerosa über einen fäkalen Mikrobiomtransfer, also einer Stuhltransplantation, zu helfen. Dabei wird Stuhl von gesunden Menschen auf Darmerkrankte übertragen. Die Annahme lautet: Gute Darmbakterien von Gesunden oder die guten Stoffwechselprodukte eines gesunden Mikrobioms können die Erkrankung günstig beeinflussen. Ein neuer Therapieansatz, dem die Spezialisten am UKJ im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten FRESCO-Studie nachgehen, ist die Verabreichung von Kapseln mit aufbereitetem, gesunden Kot. Bereits etabliert ist eine Stuhltransplantation bei Patienten mit einer häufig wiederkehrenden Darminfektion mit Clostridoides difficile, die nicht auf Antibiotikagabe ansprechen.
Was unser Mikrobiom beeinflusst
Das Mikrobiom ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Seine Zusammensetzung und seine Vielfalt hängen von unterschiedlichen Faktoren ab, die wir nur teilweise beeinflussen können.
Unbeeinflussbare Faktoren:
- Art der Geburt: eine natürliche Geburt oder ein Kaiserschnitt beeinflussen, mit welchen Mikroorganismen wir zuerst Kontakt haben.
- Alter: Das Mikrobiom altert und damit lässt seine Schlagkraft nach.
- Geschlecht
- Genetische Veranlagung
Beeinflussbare Faktoren:
- Ernährung
- Rauchen
- Alkohol
- Übergewicht
Katrin Bogner