"STUFENPLAN", ÜBERTRAGUNG, GEGENÜBERTRAGUNG

ZUR INTEGRIERBARKEIT VERHALTENSTHERAPEUTISCHER METHODEN IN EIN STATIONÄRES TIEFENPSYCHOLOGISCHES KONZEPT FÜR ESSGESTÖRTE JUGENDLICHE

Dr. med. C. Stockmann-Fleck

Psychosomatische Station

KJPPP des Universitätsklinikum Jena

Matthias Bolz

Tagesklinik Altenburg

KJPPP des Universitätsklinikum Jena

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Block I
Erkrankungsmodelle und Behandlungskonzepte der Anorexia nervosa in der Adoleszenz

Biologische Psychiatrie

Grundmodell

  • genetische Ursachen schaffen spezifische Vulnerabilität
  • genetische Veränderungen, die sich auf zentrale Mechanismen der neurohormonellen Regulation beziehen, scheinen bei Magersüchtigen häufiger vorzukommen
  • malnutritiv bedingte Veränderungen im Hormon- und Neurotransmitterhaushalt

Schwerpunkt

  • Die vorliegende malnutritiv bedingte Gehirnfunktionsstörung und andere körperliche Beschädigungen können durch Normalisierung der Nahrungszufuhr und damit des Gewichts reduziert werden.
  • Gewichtsaufbau, medizinisches Management der Folgen der Mangelernährung
  • Milderung der Hirnfunktionsstörung sowie der komorbiden Erkrankungen durch psychopharmakologische Interventionen möglich.

Technik

  • ärztlich-direktives Handeln
  • Zwangsernährung, teils mit hohe Kalorienzufuhr pro Tag, Sondierung ist als zu rechtfertigende Maßnahme bei bedrohter Vitalität möglich
  • Psychoedukation von Patienten und Bezugspersonen
  • psychopharmakologische Therapie

Verhaltenstherapie

Grundmodell

  • lerntheoretisch (maladaptive Lernprozesse)
  • kognitiv (dysfunktionale Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster)
  • Verstärkungsmodell

Schwerpunkt

  • Erreichung von gesünderem Gewicht und Vermitteln und Erlernen von gesundem Essverhalten
  • supportives, teils direktives Vorgehen
  • Motivation aufbauen und halten
  • Abbau symptomverstärkender Bedingungen
  • Aufbau alternativer Verhaltensweisen

Schwerpunkt

  • Vermittlung von Fertigkeiten zur selbständigen Problemlösung
  • Auflösung suboptimaler kognitiver  und affektiver Strategien
  • Bearbeitung der Körperschemastörung und Gewichtsphobie

Technik

  • Handlungsorientierung, mehr als nur Reflexion und Gewinnung von Einsichten, Erproben von neuen Handlungs- und Erlebnisweisen
  • „Hilfe zur Selbsthilfe“, Stärkung von Eigenverantwortung und Eigenaktivität des Patienten
  • Psychoedukation von Patienten und Bezugspersonen

Technik: Operante Verfahren

  • Analyse von Auslösesituationen, Situationen, Bedingungen
  • Gewichtszunahme, gesünderes Essverhalten positiv verstärken
  • Stufenplan als Teil des Verstärkersystems im stationären Setting

Technik: Kognitive Verfahren

  • Essstörung als etwas Außenstehendes, der Persönlichkeit ursprünglich nicht Zugehöriges ansehen lernen
  • Techniken für kurzfristige Affektregulation
  • Bearbeiten automatischer Kognitionen
  • Bearbeitung, Milderung bzw.Korrektur dysfunktionaler Gedanken

Technik: Symptomarbeit

  • strukturierte "Esstage", “schwarze Liste“ abbauen, Mahlzeitenprotokolle (Kognition, Affekt)
  • symptombezoge, direktive Arbeit am Symptom (Untergewicht, Gewichtsphobie, Körperschemastörung)
  • Körperkonfrontation, Abbau von körperbezogenen Vermeidungs- und Kontrollverhalten

Tiefenpsychologische Psychotherapie

Grundmodell

  • Reaktivierung unbewußter, unzureichend gut gelöster Konflikte bei gegebenem Aktualanlaß (Trennung, Abschied, Tod, heftige Veränderungen, Schwellensituationen)
  • Dekompensieren der bis dato ausreichenden Abwehrmechanismen

Grundmodell

  • Unzulänglich befriedigte Bedürfnisse und Wünsche wurden abgewehrt, die dabei entstandene Enttäuschung und Wut wurden verleugnet.
  • Aktualkonflikt und Dekompensation führen zur Symptombildung.

Grundmodell

  • Wendung der aggressiven Impulse gegen das Selbst mit Selbstzerstörung durch die Anorexie (der Körper als Objekt)
  • Anorexia nervosa als Störung des aggressiven Austauschs mit dem Objekt
  • im Kontakt mit den Bezugspersonen ist aggressive Auseinandersetzung nicht ohne Weiteres möglich

Schwerpunkt

  • Anerkennen der frühen Bedürfnisse und der vermutlichen Mangelversorgung bzw. der Dysbalance in der Versorgung
  • AN als frühe Störung bzw. Regression auf frühere Entwicklungsstufen, die ein stärkeres Maß an Halt und Begrenzung erfordern
  • Schwierigkeit: Balance von Versorgungswünschen und Ablösungsimpulsen vor dem Hintergrund der Adoleszenz zu finden

Technik

  • neutrales Herangehen, Abstinenz
  • weniger konkrete Symptombezogenheit
  • Schwerpunkt liegt auf dem tiefenpsychologischen Verständnis des Gewordenseins, der zugrunde liegenden Konflikte
  • Arbeit mit dem Unbewußten
  • Deutungen von Widerstand, Abwehr, Übertragung und  Gegenübertragung

Technik

  • Konkrete Technik im Umgang mit gewollter/notwendiger Gewichtssteigerung?
  • Wie muss der Rahmen aussehen im Hinblick auf das Gewicht?

Block II
Konfliktfelder einer integrierten Behandlunsstrategie

Defizite eines isolieten Vorgehens

Biologische Psychiatrie

  • Bei allein psychiatrischem Herangehen ist die Motivation des Patienten meist nicht über Akutphase hinaus aufrecht zu erhalten.
  • Gewichtsstabilisierung führt nicht automatisch zu verbesserter psychischer Gesundheit.
  • Fortbestehen innere Erkrankungsmechanismen, wie z.B. Aktualkonflikte oder Selbstwertaspekte werden nicht berücksichtigt.

Verhaltenstherapie

  • Lässt die starke Sympomorientierung der therapeutischen Arbeit wesentliche innerseelische Aspekte des Patienten außen vor?
  • Entstehen durch die stärker direktive Arbeit und die Festlegung eines oft nicht-konsensuellen Behandlungsziels einen Rückfall begünstigende Effekte?

Tiefenpsychologische Psychotherapie

  • Als Therapieoption ohne Berücksichtigung des Gewichts nicht ausreichend im Falle der massiven Gewichtsreduktion.
  • Erfahrungsgemäß ist davon das massive Untergewicht nicht ausreichend (zügig) behandelbar.Erhöhte körperliche Gefahr: Es sind keine Erwachsenen, sondern junge Mädchen in der Pubertät (bedenke: Ausbleiben der Menstruation, Knochendichteverminderung, Blutwertveränderungen, Verminderung des Hirnvolumens).

Konfliktfelder im Integrationsbemühen

Konfliktfelder im Integrationsbemühen

  • Widerspricht ein das Gewicht aktiv behandelndes Vorgehen dem anlytischen/tiefenpsychologischen Gedanken?
  • Ist es ein Bruch der tiefenpsychologisch notwendigen Abstinenz, wenn es zur Festlegung von spezifischen Zielen (z.B. Gewichtsziel) kommt- die Behandlung ist nicht, wie sonst, ergebnissoffen möglich.
  • Kommt es zum Forcieren bestimmter Übertragungskonstellationen durch direktive Behandlungsanteile?

Integration

Integration

  • Aspekte biologischer Psychiatrie und der Verhaltenstherapie ergänzen sich gut.
  • Eine angemessene Versorgung im Hinblick auf den Körper ist unumgehbar.
  • Auf den ersten Blick scheint die TP am wenigsten gut integrierbar.

Integration

  • Rahmengestaltung besteht als zentrale Frage einer tiefenpsychologisch-orientierten Therapie.
  • Eine angemessene Versorgung im Hinblick auf den Körper ist unumgehbar. (im Gegensatz zu den Eltern)
  • Beschränkung und haltgebende Begrenzungen müssen existieren.
  • Dem impliziten Wunsch nach Versorgung und Halt kann man gerecht werden.
  • Damit ist ein Anerkennung und Bearbeiten der Gewichtsproblematik als fester Bestandteil der Therapie/ des Rahmens möglich.

Diskussion

Ist ein Stufenplan bzw. eine vereinbarte Gewichtszunahme als Rahmensetzung wichtig oder notwendig?
Kann die Gewichtszunahme nicht erst Folge einer gelungenen Psychotherapie sein?
Ist bei stärkerem Gewichtsverlust aufgrund der anzunehmenden Funktionsstörung des Gehirns eine Psychotherapie sinnvoll bzw. möglich?
Ist eine Integration verschiedener Therapieschulen überhaupt möglich, oder verwaschen dadurch wesentliche Elemente so stark, dass Wirksamkeit verloren geht?

Block III
Stationäres integriertes Behandlungskonzept für Jugendliche

Therapeutische Bausteine

Psychotherapie

  • drei Einheiten tiefenpsychologisch orientierte Gruppenpsychotherapie von je 60 Minuten mit flankierender kommunikativer Bewegungstherapie, pro Woche für maximal 12 Wochen
  • eine Einheit tiefenpsychologisch orientierte Einzeltherapie pro Woche von je 50 Minuten
  • durch feste Einzeltherapeuten (Psychotherapeut, Ärztin)
  • ein Bezugspersonengespräch pro Woche von je 50 Minuten

Zusätzliche Therapieangebote

  • Ergotherapiegruppe, Bildermalen und Musikgruppe
  • durch Ergotherapeuten in fester Gruppenzusammensetzung
  • Einzelergotherapie

Bildermalen

Zusätzliche Therapieangebote

  • Unterstützung bei den Mahlzeiten durch das Pflegeteam
  • Kochgruppe durch Ergotherapeuten und Pflegeteam
  • Entspannungsgruppe durch das Pflegeteam

Kochgruppe

Allgemeine Rahmenbedingungen

  • Wochenplan mit begleitetem und unbegleitetem Gruppenausgang
  • Wochenendbelastungserprobung (bei AN-Patientinnen erst im Verlauf)
  • Befindlichkeitsrunde/ Skills-Gruppe am Abend durch das Pflegeteam
  • Klinikschule

Wochenplan

Uhrzeit

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

Wecken, Morgentoilette, Puls, Temperaturmessung

= Wiegetag =

=

=

=

=

Putztag

Betten beziehen

7.30 Uhr

Frühstück

=

=

=

=

8.15- 9.00 Uhr

8:45– 9:45Uhr

Visite

08:30-09:30 Uhr

Gruppe

08:15- 08:45Uhr

KBT

08:30 – 09:30Uhr

Gruppe

09:00- 12:30Uhr

Kochgruppe

9.00- 10.00 Uhr

Aufnahme

Therapie/Schule

09:00– 10:00Uhr

Gruppe

=

=

=

10.00 Uhr

2. Frühstück

=

=

=

10.00- 11.00 Uhr

Therapie/Schule

=

=

=

11.00- 11.45 Uhr

Therapie/Schule

=

=

=

11.45- 12.15 Uhr

Mittagessen

=

=

=

=

13.00- 14.00 Uhr

12.20 - 14:00 Uhr

Ergogruppe / Gruppe

Mittagsruhe

14:00 – 14:30 Uhr

Entspannung

14.00- 14.15 Uhr

Kaffeetrinken

=

=

=

=

14.15- 18.00 Uhr

unbegl. Gruppenausgang

16:00- 18:00 Uhr

Stadt

Besuchszeit

14.30- 16:00 Uhr

Bilder malen

begl. Gruppenausgang

16:00- 18:00 Uhr

Botanischer Garten

15.00 - 16.00 Uhr

Musikgruppe

unbegl. Gruppenausgang

16:00- 18:00 Uhr

Stadt

begl. Gruppenausgang

ab 15:00 Uhr

Geocaching

18.00- 18.30 Uhr

Abendbrot

=

=

=

=

18.30- 19.00 Uhr

Blitzlicht/Skillgruppe

=

=

=

=

19.00- 20.00 Uhr

Telefonzeit

=

=

=

=

20.00 Uhr

Spätstück

=

=

=

=

21.15 Uhr

Nachtruhe

=

=

=

22.00 Uhr Nachtruhe

Strukturaspekte

  • kein Therapeutenwechsel, Zuverlässigkeit durch Behandler
  • Gruppentherapie mit Außenkreis
  • Zusammenführung der Inhalte einzelner Bausteine ist entscheidend, alle Mitarbeiter der Station sind beteiligt.

Strukturaspekte

  • Vor- und Nachbesprechungen jeder Therapieeinheit
  • Teambesprechungen
  • Fallbesprechungen
  • Visiten
  • Prozess muss verfolgbar sein

Phasenkonzept

  • An Erkrankungschwere angepasster struktureller Rahmen sowie angepasste Einstellung / Haltung des Behandlers ist erforderlich.
  • Unser grundsätzlich tiefenpsychologisch orientiertes Konzept wir mit einen Stufenplan ergänzt.
  • Grundidee: Verhaltensplan ersetzt nicht mehr funktionierende innerer Regelkreise

Behandlungsphasen

Verhaltensplan

  • verhaltenstherapeutisch orientierter Therapieplan in 5 Phasen regelt spezifisch stationäre Rahmenbedingungen
  • Orientierung der Phasen an den BMI-Perzentilen
  • Koppelung zwischen Aufgaben und Autonomiegewährung
  • Patienten mit noch moderatem Untergewicht starten in höheren Phasen und damit schon mit anspruchsvolleren Aufgaben (z.B. freies Essen)

Behandlungsphasen

Sonderphase

Therapiefokus

  • Abwenden weiterer Gewichtsreduktion bzw. weiterer Gesundheitsgefährdung

Aufgaben

  • keine, komplette Verantwortungsübernahme durch den Therapeuten

Instrumente

  • Strenge Bettruhe
  • Sperre der Telefonzeiten,
  • ggf. Sondierung
  • ggf. Psychopharmako- therapie
Verantwortung für Gewicht und Gesundheit liegt beim Therapeuten, alles andere ist dem untergeordnet

Ausgleichsphase

Therapiefokus

  • Aufbau eines Grundgewichtes mit kontrollierten Mahlzeiten
  • Erweiterte Diagnostik
  • Einzelgespräche
  • Bezugspersonengespräche
  • Ergotherape

Aufgaben

  • Gewichtsaufbau (Mengenkontrolle)
  • Einnahme von 5 Mahlzeiten gemeinsam
  • Ruhezeit

Instrumente

  • Stationsaufenthalt zur Aktivitätsbeschränkung
  • Schrittweise Erhöhung der Besuchszeiten ohne Ausgang
Starkes Ausmaß and Aktivitätsbeschrenkung und Schwerpunkt auf Gewichtsaufbau, Verantwortung weitgehend noch bei Therapeuten

Aufbauphase

Therapiefokus

  • Weiterer Gewichtsaufbau bei festgelegter Mindestkalorienzufuhr
  • Gruppenpsychotherapie
  • Einzelgespräche
  • Bezugspersonengespräche
  • Ergotherapie

Aufgaben

  • Weiter Gewichtsaufbau (Mengenkontrolle)
  • Essen selbst bestellen
  • Selbst schmieren
  • Kochgruppen
  • Belastungssteigerung mit Klinikbeschulung

Instrumente

  • Begleiteter Gruppenausgang
  • Besuchszeiten mit Ausgang
In dem Maß, in dem vom Patienten Verantwortung übernommen wird, werden Einschränkungen verhandelbarer. Im Sinne der Zuverlässigkeit und Autonomiegewährung keine Änderungen außerhalb der Visite.

Autonomiephase

Therapiefokus

  • Weiterer Gewichtsaufbau bei freien Mahlzeiten
  • Einzelgespräche
  • Bezugspersonengespräche
  • Beenden der Gruppenpsychotherapie
  • Ergotherapie

Aufgaben

  • Schrittweiser Aufbau von freiem Essen
  • Esssituationen mit den Eltern am Wochenende bewältigen
  • In der letzten Stufe Besuch der Außenschule

Instrumente

  • unbegleiteter Gruppenausgang
  • Tagesbeurlaubung am Wochenende
Im Sinne des Autonomiegewinnes und der positiven Verstärkung relativ wenig Einmischung in Besonderheiten der Nahrungsauswahl.

Stabilisierungsphase

Therapiefokus

  • Gewichtsstabiliät bewahren
  • Integration der erreichten Therapiefortschritte ins tägliche Leben
  • Einzelpsychotherapie
  • Bezugspersonengespräche
  • Ergotherapie

Aufgaben

  • Besuch der Außenschule
  • An häusliche Situation angelehnte Freizeitaktivitäten

Instrumente

  • Verantworungsübernahme der Patienten verstärken
  • Unterstützung von Aktivitäten außerhalb der Klinik
Abschied als wichtigste psychotherapeutische Aufgabe

Stufenplan

Körpergröße: 1,78 m  
Ausgangsgewicht: 44,7 kg (BMI 14,1 kg/m²) Zielgewicht: 60 kg (BMI 18,4 kg/m²)
Therapieziele:
  • Erreichen des Zielgewichts von 60,0 kg
  • Aufbau eines gesunden Essverhaltens
  • Halten des Gewichtes bei voller Belastung für mindestens 6 Wochen
Vereinbarungen:
  • Wiegetag ist Montag, zwischendurch ist Wiegen jederzeit unangekündigt möglich, das Gewicht vom Montag ist entscheidend für den Wechsel der erreichten Stufe.
  • Ich verzichte auf übermäßige körperliche Aktivität (ständiges Stehen, Hüpfen, Gymnastikübungen). Nichteinhalten führt zur Streichung einer Vergünstigung.
  • Pro Woche sollte ich wenigstens 500 Gramm und höchstens 1,2 kg zunehmen. Bei Unterschreiten dieser Grenze erfolgt die Streichung einer Vergünstigung bis zur nächsten adäquaten Gewichtszunahme. Bei zu starker Gewichtszunahme erfolgte ebenfalls eine Konsequenz.
  • Eigene Lebensmittel und Getränke werden zentral aufbewahrt. Sollten Lebensmittel oder Getränke im Zimmer vorgefunden werden, kommt es zur Streichung einer Vergünstigung für die gesamte Woche.
  • Änderungen des Plans sind je nach Verlauf vorbehalten.
  • Die jeweiligen in der Behandlungsphase vorgegebenen Aufgaben (selbständiges Schmieren, freies Essen, Steigerung der körperlichen Aktivität) sollten bis zum Ende dieser Phase bewältigt. Eine eventuelle Stufung innerhalb der Phase wird in den Visiten individuell vereinbart.
  • Wenn ich das Zielgewicht erreicht habe muss ich das Gewicht weitere 6 Wochen halten, danach werde ich entlassen. Sollte ich unter das Zielgewicht fallen, gilt für mich die jeweilige Stufe und ich muss anschließend das erreichte Zielgewicht 6 Wochen halten.

Sonderphase

Die Sonderphase tritt bei über das Aufnahmegewicht hinausgehender Gewichtsreduktion in Kraft. Hauptziel ist das Begrenzen der körperlichen Folgeerkrankungen.

Vereinbarungen: Es erfolgt eine kontrollierte Nahrungsaufnahme bei ebenfalls strikt kontrollierter und reduziert körperlicher Aktivität. Bei weiterer Gewichtsabnahme erfolgt abhängig vom körperlichen Zustand ggf. eine Zwangsernährung sowie eine Psychopharmakotherapie. Jeden Tag ist (abhängig vom Wetter) ½ h Ausgang mit dem Pflegepersonal möglich.

Stufe

Gewicht

0

< 44,1 kg

Kontrollierte Einnahme der Mahlzeiten im Zimmer. Strenge Bettruhe (ohne Beschäftigung, Schlafanzug anziehen, Waschen am Bett), keine Telefonate, keine Besuche, Ergo- und Mototherapie am Bett.

Ausgleichsphase

Die Ausgleichsphase dient der Reduktion bzw. der Abwehr körperlicher Folgeerscheinungen durch den Aufbau eines Grundgewichtes unter Kontrolle der Nahrungszufuhr. Es erfolgt zunächst eine patientenzentrierte Einzelpsychotherapie sowie familientherapeutische Sitzungen.

Vereinbarungen: Gemeinsame Einnahme von 6 Mahlzeiten , Nahrungsmittelmenge wird vom Behandlungsteam festgelegt. Nach den Hauptmahlzeiten ist eine Ruhezeit von 30 min Pflicht. Essensverweigerung (Nicht-Aufessen) sowie Erbrechen führen zur Bettruhe bis zur nächsten Hauptmahlzeit. Bei Überschreiten der maximalen Gewichtszunahme erfolgt eine Konsequenz. Jeden Tag ist (abhängig vom Wetter) ½ h Ausgang mit dem Pflegepersonal möglich.

Stufe

Gewicht

1

44,1 kg - 45 kg

Stationsaufenthalt. 10 Minuten Telefonat mit Stationshandy. Keine Besuche. ½ Gehzeit mit Eltern 1x/Woche.

2

45,1 kg - 46 kg

Ergotherapie außerhalb der Station. 4h Besuch auf Station am Wochenende (kann zweigeteilt werden).

3

46,1 kg - 47 kg

1h Telefonzeit mit eigenem Handy.

4

47,1 kg - 48 kg

2x 4h Besuch auf Station.

5

48,1 kg - 49 kg

3x 4h Besuch auf Station.

Aufbauphase

Die Aufbauphase dient dem weiteren Gewichtsaufbau unter Kontrolle einer vom Behandlungsteam definierten Mindestkalorienzufuhr. Mahlzeiten werden unter Assistenz des Pflegeteams selbst ausgewählt. Psychotherapeutischer Fokus liegt auf der Gruppenpsychotherapie mit Gleichaltrigen. Teilnahme an der Kochgruppe.

Vereinbarungen: Gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten, Mindestkaloriengrenze wird vom Behandlungsteam festgelegt, Essen wird selbst bestellt. Frühstück und Abendbrot werden selbst geschmiert. Zwischenmahlzeiten können mit kalorienäquivalenten Alternativen ausgetauscht werden. Nach den Hauptmahlzeiten ist eine Ruhezeit von 30 min Pflicht. Essensverweigerung (Nicht-Aufessen) sowie Erbrechen führen zur Bettruhe bis zur nächsten Hauptmahlzeit. Bei Überschreiten der maximalen Gewichtszunahme erfolgt das Streichen einer Vergünstigung.

Stufe

Gewicht

6

49,1 kg - 50 kg

Teilnahme an der Gruppenpsychotherapie sowie der Sporttherapie. Besuchszeit am Wochenende mit Ausgang.

7

50,1 kg - 51 kg

Klinikschule.

8

51,1 kg - 52 kg

Alle Besuchszeiten mit Ausgang.

9

52,1 kg - 53 kg

1x begleiteter Gruppenausgang.

10

53,1 kg - 54 kg

2x begleiteter Gruppenausgang.

Autonomiephase

Die Autonomiephase dient dem Gewichtsaufbau bei nicht mehr durch das Personal kontrollierter Nahrungsaufnahme und gleichzeitiger Steigerung der alltäglichen Belastungen.

Vereinbarungen: Gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten. Essen wird selbst bestellt. Schrittweiser Aufbau des Freien Essens.

Stufe

Gewicht

11

54,1 kg - 55 kg

Teilnahme an unbegleiteten Gruppenausgängen.

12

55,1 kg - 56 kg

Besuch der Musikschule (1h / Woche).

13

56,1 kg - 57 kg

Besuch des Tennis-Trainings (1h / Woche)

14

57,1 kg - 58 kg

1x Tagesurlaub am Wochenende.

15

58,1 kg - 59 kg

2x Tagesurlaub am Wochenende.

16

59,1 kg - 60 kg

Wochenendbeurlaubung.

Stabilisierungsphase

Die Stabilisierungsphase dient dem selbstverantwortlichen Halten einer Gewichtsstabilität über dem Zielgewicht für 6 Wochen unter alltäglichen Belastungen.

Vereinbarungen: Gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten. Besuch der Außenschule sowie an das häusliche Niveau angelehnten Freizeitaktivitäten. Ggf. ist eine tagesklinische Stabilisierungsphase möglich. Beim Unterschreiten des Zielgewichtes (auch beim unangekündigten Zwischenwiegen) beginnt die 6-wöchige Stabilisierungsphase von vorn.

Stufe

Gewicht

17

Ab 60,0 kg

Besuch der Außenschule

Gewichtskurve

Diskussion

Ist ein ähnlich gestuftes Vorgehen auch für den ambulanten Rahmen denkbar?
Welche Abstufungen im strukturellen Rahmen wären ambulant vorstellbar?
Welche möglichen Instrumente wären denkbar?

Block IV
Spezifische Übertragung und Gegenübertragung

Setting

Übertragungsphänomene im Bezug auf Begrenzung

  • Stufenplan heißt Gewichtskontrolle mit Konsequenzen im Falle der zu geringen oder zu schnellen Zunahme.
  • Das bringt Spannungen, Enttäuschung und Enttäuschungswut.
  • Gelingt es, die durch den hohen Druck entstehenden Affekte zu bearbeiten und zu regulieren? Kann die entstehende Aggression wahrgenommen und besprochen werden?
  • Benennen, Verdauen, Integrieren

Übertragungsphänomene im Bezug auf Begrenzung

  • Grenzen werden spürbar und verhandelbar
  • bewußt werden von Projektion/Projektiver Identifizierung v.a. aggressiver Anteile kann gelingen
  • Möglichkeit, aggressive Auseinandersetzung zu “üben”

Gegenübertragungsphänomene im Bezug auf Begrenzung

  • Entstehung von Schuld- und Schamgefühlen
  • damit einhergehende Zweifel können zu Aufweichungen und  Relativierungen führen

Gegenübertragungsphänomene im Bezug auf Begrenzung

  • Was bedeutet es, wenn ich die Auseinandersetzung vermeide?
  • Dran bleiben, heißt ernst nehmen (auch den lebensbedrohlichen, gesundheitlichen/medizinischen Aspekt).

Phasen

Sonder- / Aufbauphase:

  • besonders hohes Maß an Einschränkung und Grenzsetzung, bis hin zur körperlichen Integrität
  • mögliches Triggern von Traumata oder dem Gefühl des Ausgeliefertseins
  • Gefahr von zu starker Regression

Ausgleichsphase:

  • Paradoxon: unter forcierter Regression Autonomie lernen
  • zunehmende Möglichkeit, Grenzen zu verhandeln und selbstbestimmter zu agieren -> Beziehungs als Übungs- und Verhandlungsfeld
  • bei Nachlassen der körperlichen Gefährdung hohe Gefahr eines Behandlungsabbruchs

Autonomiephase:

  • Schwierigkeiten in Bezug auf Ablösungsfragen sind häufig - diese stehen im vermeintlichen Widerspruch zu einer aggressiv geprägten Beziehung.
  • Auflösung der Regression kann schwierig sein, da z.B. Hilfs-Ich-Funktionen des Therapeuten und seiner Techniken auf ängstlich-zwanghafte Anteile der Patientinnen ungünstig stabilisierend wirken.

Stabilisierungsphase:

  • nahezu vollständige Selbstbestimmung der Jugendlichen
  • Abschied aus den Behandlungsbeziehungen als wesentliche Aufgabe
  • Trennung von Behandlern reaktiviert alte Verlassenheitsgefühle

Block V
Fallbeispiele

Fall I:

17-jähriges Mädchen, Aufnahmegewicht 43,6 kg (BMI 14,0 kg/qm), anorektische 14-jährige Schwester kurz vor Aufnahme aus anderer Klinik entlassen, schwerste Auseinandersetzungen zwischen getrennten Eltern

Fall II:

15-jähriges Mädchen, Aufnahmegwicht 37,2 kg (BMI 16,1 kg/qm), Kloßgefühl im Hals verhindert Essen

Fall III:

14-jähriges Mädchen, Aufnahmegewicht 38,2 kg (BMI 14,1kg/qm), Oma sagte, dass sie Acht geben muss, nicht so dick zu werden (wie Mutter/Schwiegertochter), 2.Erkrankungsphase, bereits ein Klinikaufenthalt (“gemästet”)

Fall IV:

16-jähriges Mädchen, Aufnahmegweicht von 43 kg (BMI 16,4 kg/qm), komorbide depressive Störung

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.