Wir in den Medien

Wenn der Nerv im Gesicht schlapp macht

HNO-Klinik auf Behandlung von Gesichtsnerverkrankungen spezialisiert.

Die Symptome in ihrem Gesicht kommen urplötzlich: Auf einmal fühlt sich die Stirn unnatürlich glatt an und der rechte Mundwinkel gehorcht nicht mehr. Von jetzt auf gleich kann Sieglinde Strobel nicht mehr aus einer Tasse trinken, auch das Auge tränt. Beunruhigt ist sie zunächst nicht, sie denkt an ein Problem mit dem Kiefer und macht sich umgehend auf den Weg zu ihrer Zahnärztin. Die vermutet ob der Lähmungssymptome einen Schlaganfall und reagiert sofort. Die Jenaerin kommt als Notfall ins Universitätsklinikum Jena. Die Untersuchung durch die Neurologen bringt schnell Gewissheit: kein Schlaganfall, aber eine Gesichtsnervenlähmung, von Medizinern Fazialisparese genannt. Immerhin etwa 20 000 Menschen trifft die Erkrankung Jahr für Jahr deutschlandweit.

Sieglinde Strobel wird stationär in der HNO-Klinik am UKJ aufgenommen und erhält dort mehrere Tage Infusionen mit Kortison und virenhemmenden Medikamenten (Virostatika), um die Entzündung einzudämmen und Viren als möglichen Auslöser in Schach zu halten. „Bei der großen Mehrzahl der von einer Fazialisparese Betroffenen erholt sich der gelähmte Gesichtsnerv nach einer solchen Therapie wieder, die Erkrankung heilt nach und nach aus“, erläutert Dr. Gerd Fabian Volk. „Bei bis zu dreißig Prozent der Erkrankten allerdings wird sie chronisch mit anhaltenden Defiziten und oft dauerhaften Koordinationsstörungen der Gesichtsmuskulatur.“ Der Oberarzt an der HNO-Klinik leitet das seit 2012 bestehende Fazialis-Nerv-Zentrum am UKJ. Das Zentrum ist eine gemeinsame Einrichtung der Kliniken für HNO und Neurologie sowie des Lehrstuhls für biologische und klinische Psychologie am Institut für Psychologie an der Universität Jena.

Augen öffnen und schließen, Lächeln, die Stirn in Falten legen, die Nase krausen oder die Mundwinkel nach unten ziehen – solche Bewegungen produziert das Gesicht normalerweise unzählige Male am Tag. Verantwortlich dafür sind 23 verschiedene Muskeln je Gesichtshälfte. Angesteuert werden sie vom Gehirn durch den Gesichtsnerv (Nervus Facialis), der hinter dem Ohr in den Gesichtsbereich eintritt und sich dort verzweigt. Bei einer Fazialisparese funktioniert diese Ansteuerung wegen der Nervschädigung nicht. Erkrankte können zum Beispiel das Augenlid der betroffenen Seite nicht richtig schließen, die
Augenbraue nicht bewegen, Lippen und Mundwinkel lassen sich nicht richtig öffnen. Auch Geschmacksempfinden und Gehör können gestört sein.

Ursachen für den Nervschaden können zum Beispiel eine durch Zecken übertragene Borreliose, Herpes-Zoster- Viren, Tumoren der Ohrspeicheldrüse oder Verletzungen durch Unfälle oder Operationen sein – wobei das Ausmaß der Lähmung vom Schweregrad der Nervschädigung abhängt. Diagnostiziert wird unter anderem mittels Elektromyografie (EMG), bei der die elektrische Gesichtsmuskelspannung gemessen wird. Auch ein Hör- und Schmecktest, die Untersuchung des Gleichgewichtsorgans und Labortests – zum Beispiel zum Nachweis eines Borrelienbefalls – gehören zur Diagnostik.

Häufig ist eine konkrete Ursache aber auch nicht feststellbar, Mediziner sprechen dann von einer idiopathischen peripheren Fazialisparese. Eine solche Form hat Sieglinde Strobel, die Ende 2014 erkrankte, getroffen. „Ein Augenunterlid hing schlaff herab, die Augenbrauen konnte ich nicht bewegen, Lippen und Mundwinkel nicht heben“, blickt sie zurück. Große Probleme habe ihr die Lähmung beim Essen oder Trinken bereitet. „Es ging eigentlich nur mit Schnabeltasse oder Strohhalm.“ Der Leidensdruck sei hoch gewesen. Das erleben die Mediziner und Therapeuten im Fazialis-Nerv-Zentrum immer wieder. Dass die Mimik- und Funktionsdefekte im Gesicht für jeden sichtbar sind, macht sie für die Betroffenen auch psychisch belastend.

Sieglinde Strobel hat von einem besonderen Behandlungsverfahren profitiert, das sie einige Monate nach der Akutbehandlung am Fazialis-Nerv- Zentrum erhielt: ein Spezialtraining für die Hirnareale, die die Gesichtsmotorik steuern. Dabei üben die Patienten mit aufgeklebten Elektroden im Gesicht unter Anleitung eines Ergotherapeuten bestimmte Gesichtsbewegungen: Lächeln mit geschlossenem Mund und Grimassen ziehen zum Beispiel. Über die Elektroden, die mit einem Laptop verbunden sind, wird die Muskelaktivität während der Übung gemessen, Biofeedback lautet der Fachbegriff. Auf dem Bildschirm können die Patienten ihre Bewegungen auch ähnlich wie vor einem Spiegel in Echtzeit verfolgen.

„Zwar bildet der Gesichtsnerv nach einer Schädigung neue Sprossen aus, allerdings wachsen diese nicht so wie vorher“ erklärt Dr. Volk das Prinzip. „Zum Beispiel kann der eigentlich für Lidbewegungen zuständige Nervenast auf einmal an einem Mundmuskel andocken, so dass statt des Lids der Mundwinkel bewegt wird.“ Mit dem Fazialis-Parese-Training wird das Gehirn trainiert, diese vorhandenen Nervenfunktionen systematisch zu übernehmen. „Die im Gehirn abgespeicherten Bewegungsmuster werden sozusagen an die Fehlverschaltung des Nervs angepasst“, so der Mediziner. Bislang ist dieses Spezialtraining, das die Patienten auch nach der Entlassung aus der Klinik fortsetzen müssen, allerdings kein Standardverfahren. Psychologen und Ärzte des Fazialis-Nerv-Zentrums erforschen seine Wirksamkeit an ausgewählten Patienten in einer Studie, an der auch Sieglinde Strobel teilgenommen hat. Die 63-Jährige ist mit dem Ergebnis zufrieden und trainiert jetzt weiter täglich zu Hause vor
dem Spiegel – mehr als zwei Jahre nach ihrer Erkrankung. Denn das dauerhafte Training sei einer der Faktoren für den Behandlungserfolg, betont Dr. Volk.

Das UKJ ist als eine von nur wenigen Kliniken in Deutschland auf die Behandlung von Gesichtsnerverkrankungen spezialisiert. Davon profitieren vor allem auch Patienten, bei denen eine chronische Lähmung auf eine Nervenverletzung durch Entzündungen, Unfälle oder bei Operationen zurückzuführen ist. An der HNO-Klinik können verletzte Gesichtsnerven in Operationen wiederhergestellt werden – ein Schwerpunkt von Klinikdirektor Prof. Orlando Guntinas-Lichius. Seit 2006 wurden über 80 dieser Operationen an der Klinik ausgeführt.

Quelle: Kliniksmagazin 02/2017

Fotos und Autor: Katrin Zeiß

Sie kämpfen um jedes Lächeln

Zwei junge Frauen gründen die erste Fazialisparese-Selbsthilfegruppe in Vorpommern. Die Ursachen für die halbseitigen Lähmungserscheinungen des Gesichts sind weitgehend unbekannt. Was die Krankheit mit Betroffenen macht, erzählen Katharina Kohl und Josephine Fuchs aus Greifswald.

Nein, auf den ersten Blick sieht man als Laie tatsächlich nichts. Die beiden attraktiven jungen Frauen, die sich im Greifswalder Theatercafé treffen, wirken selbstbewusst, modern und aufgeschlossen. "Ja, das hören wir oft", sagt Josephine Fuchs und lächelt gequält. "Aber glauben Sie uns. Ein, Nichts' ist eine Fazialisparese nicht. Ist der Satz so richtig?". Tatsächlich fällt einem bei genauerer Beobachtung eine leichte Asymmetrie in den Gesichtern der beiden auf. Ist das eine Auge etwas kleiner? Das Lächeln auf der linken Seite ein bisschen ausgeprägter?

Josephine Fuchs und Katharina Kohl leiden unter einer einseitigen Gesichtslähmung, einer Nervenschädigung, die auch die Medizin noch vor viele Rätsel stellt. "Man vermutet, dass Herpesviren dahinterstecken", sagt der Greifswalder Neurochirurg Prof. Henry Schroeder. "Die Erkrankung tritt in den meisten Fällen vom einen auf den anderen Tag auf. Bei vielen Patienten bessern sich die Lähmungennach kurzer Zeit wieder und verschwinden dann ganz. Manchmal aber auch nicht. Mit drastischen Auswirkungen auf die Betroffenen."

Von einem auf den anderen Tag Gelähmt

"Ich war 14 Jahre alt und gerade im Urlaub in Venedig", erinnert sich Josephine Fuchs an das Auftreten der Krankheit. "Zunächst hatte ich so ein Kratzen am Auge, es hat sich angefühlt wie ein Gerstenkorn." Am nächsten Tag dann der Schock. "Ich habe keine Schmerzen gehabt, aber das Trinken aus einem Glas klappte plötzlich nicht mehr. Das Wasser lief mir aus dem Mund." Der Blick in den Spiegel brachte Gewissheit: Hier stimmte etwas nicht: Die rechte Gesichtshälfte hing schlaff herab. Zu Hause in Greifswald ging es sofort auf die Kinderstation, ein erster Verdacht auf Borrelien bestätigte sich nicht. "Im Endeffekt habe ich viel Physiotherapie bekommen und die Lähmung ist auch zunächst besser geworden", erinnert sich die heute 36-Jährige. "Aber weg ist sie eben nicht." Bei Katharina Kohl war die Situation ganz ähnlich. Sie kämpft seit neun Jahren mit der Beeinträchtigung. "Die Lähmung kam vom einen auf den anderen Tag", erzählt die 35-jährige Ergotherapeutin. "Bei mir kamen vorher leichte Ohrenschmerzen dazu. Auch ich war im Urlaub und dachte noch, ich hätte mich erkältet." Als die Lähmung voll ausgeprägt war, bekam sie Panik. "Man denkt ja zunächst an einen Schlaganfall." Aber Untersuchungen konnten das ausschließen, auch die Besuche beim Zahnarzt blieben ohne Ergebnis. Beim Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten schließlich erkennt man das Problem, es gab wie bei Josephine Fuchs auch Physiotherapie, Übungen für die Gesichts-muskulatur.

Behandlungsmöglichkeiten sehr Begrenzt

Die Möglichkeiten der Behandlung sind begrenzt, in späterem Stadium gelten die Nervenschäden als irreversibel. "Man kann unmittelbar nach dem Auftreten versuchen, mit einem Virostaticum gegenzusteuern", sagt Prof. Henry Schroeder. "Das wirkt aber auch nicht immer und hätte sofort erfolgen müssen." Chirurgisch könne man in besonders schweren Fällen Nervengewebe aus dem eigenen Körper transplantieren, etwa aus der Zunge. Ansonsten sind die Möglichkeiten begrenzt: Metallimplantate können helfen, den Lidschluss zu verbessern, Botox wird eingesetzt, um die Mimik unter Kontrolle zu bekommen. Der Alltag mit dem Leiden ist hart. "An vielen Tagen fühle ich mich einfach nur schrecklich", sagt Josephine Fuchs ganz offen. "Wenn zum Beispiel ein kalter Wind weht und man genau weiß, jetzt kommt der eine Mundwinkel wieder nicht mit. Ich will dann nicht mehr lächeln." Sie könne auch nicht mal eben einen Luftballon für einen Kindergeburtstag aufblasen. Ihre kleine Tochter habe ihr vor kurzem gesagt: "Du trickst mich aus. Du lächelst, aber in Wirklichkeit lächelst du gar nicht."

Aussprache: "Konfitüre" statt "Marmelade"

Die Kleinigkeiten summieren sich,. Vor allem, in Gesellschaft zu sein, sei schwierig. "Man konzentriert sich die ganze Zeit darauf, wie das Gesicht wohl aussieht, man spürt das ja auch", so Josephine Fuchs, die derzeit in Elternzeit ist. "Ich meide bestimmte Buchstaben beim Sprechen", ergänzt Katharina Kohl. "Ich sage zum Beispiel nicht mehr ‚Marmelade', sondern ‚Konfitüre', weil das, M' immer zu einem unkontrollierbaren Zucken im Auge führt." Fotos sind für die beiden ein rotes Tuch. "Ich musste Passbilder machen lassen. Mit der rechten Gesichtshälfte habe ich verzweifelt versucht, genauso auszusehen wie auf der linken Seite", beschreibt Katharina Kohl. "Das war unglaublich anstrengend und traurig." Dem Fotografen wollte sie nichts über ihre Erkrankung sagen. "Nun entspannen Sie doch endlich mal das Kinn", war dann auch der einzige Kommentar. "Mir war nach Heulen zumute", sagt sie.

Auf der Suche nach Ansprache und Austausch

Mit das Schlimmste: Für Freunde und Verwandte ist das Thema irgendwann abgehakt, das Leiden können die Wenigsten nachvollziehen. "Ich habe dann ebenfalls versucht, die Krankheit zu ignorieren", beschreibt Josephine Fuchs. "Das hat aber nicht geklappt. Ich habe so dringend jemanden zum Reden gesucht, jemanden, der mich versteht." Durch die Stadt gegangen sei sie, mit dem Blick immer die Gesichter der Passanten absuchend. "Könnte die eventuell auch Fazialisparese haben? Oder er?" Im Dezember schaltete sie eine Kleinanzeige bei Ebay auf der Suche nach ebenfalls betroffenen Frauen in Greifswald zur Gründung einer Selbsthilfegruppe. Es meldete sich genau eine: Katharina. "Wir haben uns getroffen, uns angesehen und sofort erkannt", sagt Josephine Fuchs. "Seitdem bilden wir zu zweit die Selbsthilfegruppe, Halbwegs schön'. Wir treffen uns regelmäßig, tauschen uns über Behandlungsmöglichkeiten zur Linderung aus, recherchieren und erzählen. Es gibt viele Foren im Internet, aber das wollten wir nicht. Das reale Treffen ist viel besser." Ein großes Ziel haben sich die beiden vorgenommen: "Es gibt ein Fazialis-Nerv-Zentrum an der Universitätsklinik Jena", sagt Katharina Kohl. "Dort kann man an einem teilstationären Training teilnehmen. Das wollen wir beide sehr gern machen."

Betroffene Frauen und Mädchen Gesucht

Für ihre Selbsthilfegruppe "Halbwegs schön" suchen die beiden noch Mitstreiterinnen jeglichen Alters zum gemeinsamen Treffen in Greifswald, ganz gleich, ob ein Schlaganfall die Ursache ist oder etwas anderes. "Uns hat es so gut getan, über unsere Probleme zu sprechen", so Josephine Fuchs. "Wir würden uns freuen, wenn andere Frauen den Weg zu uns finden." Interessentinnen, zunächst soll die Gruppe auf Frauen beschränkt bleiben, melden sich bitte unter:

halbwegs.schoen@gmail.com

Quelle: Ostsee-Zeitung Rügen vom 01.02.2020, Seite 12

Autor: Anne Ziebarth

Fazialisparese: Auch Mundgesundheit betroffen

Eine Fallkontrollstudie des Universitätsklinikum Jena zeigte, dass die Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten mit Fazialisparese im Vergleich zu Gesunden vermindert ist. Foto: Astrid Wetzel/UKJ

Halbseitige Gesichtslähmungen wirken sich auch auf den Gesundheitszustand von Zähnen und Zahnfleisch aus. Eine Fallkontrollstudie des Universitätsklinikum Jena zeigte, dass die Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten im Vergleich zu Gesunden vermindert ist. Auch im Seitenvergleich schnitt die gelähmte Gesichtshälfte schlechter ab als die nicht betroffene Seite. Das Autorenteam der in PLOS ONE veröffentlichten Studie empfiehlt deshalb die Ergänzung der Behandlung um zahnmedizinische Kontrollen.

 Jena (vdG/UKJ). Die meisten Betroffenen fühlen sich schwer beeinträchtigt, wenn durch eine Erkrankung des Gesichtsnervs die Muskulatur im Gesicht unbeweglich wird. Das Sprechen fällt schwer, die Mimik ist eingeschränkt, Essen und Trinken bereiten Probleme. Das führt dazu, dass die oft auf eine Gesichtshälfte beschränkte Lähmung, die als Fazialisparese bezeichnet wird, auch als psychisch sehr belastend empfunden wird und sich Patientinnen und Patienten sozial zurückziehen.  Wegen der Komplexität der Erkrankung, die zum Beispiel nach Operationen oder Infektionen auftreten kann und in einem Drittel der Fälle nicht vollständig abklingt, kümmert sich im Fazialis-Nerv-Zentrum am Universitätsklinikum Jena ein interdisziplinäres Team um die Betroffenen.

Ein wichtiger Aspekt dieser Behandlung ist die Vermeidung von Folgeschäden. Dazu zählt zum Beispiel eine regelmäßige augenärztliche Kontrolle, weil auf der gelähmten Seite Lidschluss und Tränenproduktion beeinträchtigt sein können. „Es wird auch beobachtet, dass die Patienten Probleme mit der Mundhygiene und daraus resultierend mit der Zahn-und Mundgesundheit haben“, so Lisa Strobelt, „dazu gab es aber unseres Wissens noch keine systematischen Analysen.“ Die inzwischen approbierte Zahnärztin machte deshalb eine Untersuchung der Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten mit Fazialisparese zum Thema ihrer Doktorarbeit. 

Insgesamt 86 Personen nahmen an der Studie teil, die Hälfte mit einer Fazialisparese, die andere mit gesunder Gesichtsmuskulatur. Lisa Strobelt bestimmte bei allen mehrere zahnmedizinische Indizes, um die Mundgesundheit einschätzen und vergleichen zu können. Sie untersuchte, wie fest die Zähne sitzen, wieviel Zahnbelag und Zahnstein vorhanden ist, ob Zähne kariös sind und wie viele Füllungen sie aufweisen, wie tief die Zahnfleischtaschen sind und ob das Zahnfleisch zu Blutungen neigt. In der Paresegruppe erhob sie diese Werte sowohl für die gelähmte als auch für die andere Gesichtshälfte. Außerdem beantworteten die Studienteilnehmer Fragen zu ihrer Zahnhygiene und der Einschätzung der eigenen Mundgesundheit.

Das Ergebnis: In der Studiengruppe mit Fazialisparese traten deutlich häufiger Zahnbelag, Zahnfleischbluten und unbehandelte Karies auf als in der Kontrollgruppe. Zahnstein und Zahnlockerungen waren jeweils etwa gleich häufig. Der Vergleich der Gesichtsseiten in der Paresegruppe zeigte, dass die gelähmte Seite weitaus mehr von Zahnbelag, Zahnfleischbluten und -taschen, von Parodontitis und daraus folgend von einem Abbau des Zahnhalteapparates betroffen war als die gesunde Seite. Dieser Seitenunterschied war bei Männern deutlicher als bei Frauen. Es spielte auch eine Rolle, welche Seite gelähmt ist und mit welcher Hand die Zahnbürste geführt wird: Bei Rechtshändern mit einer linksseitigen Parese fiel der Seitenunterschied geringer aus. Dieser Effekt war jedoch nicht signifikant.

Die Einschätzungen der Studiengruppen zu ihrer Mundhygiene ergänzen diese Befunde. Über die Hälfte der Paresegruppe behielt mit Einsetzen der Lähmung die Zahnputzgewohnheiten bei, ein Teil wechselte wegen der veränderten Empfindlichkeit von der elektrischen auf eine Handzahnbürste. Die mangelnde Beweglichkeit und Lippenschluss führten dazu, dass manche Patienten Zahnseide und Mundspülung seltener einsetzten. Die Mehrzahl der Paresebetroffenen berichtete von häufigen Bissen in die Wange, Speiseresten in der Wangentasche und Speichelfluss im Mundwinkel auf der gelähmten Seite. Zahnarztbesuche waren seltener als in der Kontrollgruppe.

„Mit unserer systematischen Untersuchung konnten wir detailliert belegen, dass eine Fazialisparese durch die veränderte Motorik und Speichelproduktion die Mundgesundheit deutlich beeinträchtigt“, fasst Lisa Strobelt, zusammen, „deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen ihre Mundhygiene nicht vernachlässigen.“ „Das ist eine wichtige Ergänzung für unser Behandlungskonzept. Wir weisen unsere Patientinnen und Patienten jetzt auf dieses vorher kaum bekannte erhöhte Risiko für ihre Zähne hin und raten, zahnärztliche Kontrollen, aber auch das vor der Fazialisparese gewohnte Zähneputzen nicht aufgrund der Lähmung zu vernachlässigen“, ergänzt PD Dr. Fabian Volk, der Leiter des Jenaer Fazialis-Nerv-Zentrums.

Der HNO-Arzt betreute das Projekt gemeinsam mit der Zahnärztin PD Dr. Ina Schüler, die die Sektion Präventive Zahnheilkunde am Uniklinikum Jena leitet. Sie betont die Interdisziplinarität der Studie: „Sie zeigt, wie wichtig es ist, dass sowohl die Zahnmediziner den gesamten Menschen als auch die Humanmediziner die Mundhöhle im Blick haben und die möglichen Auswirkungen von Erkrankungen auf die Mundgesundheit berücksichtigen können.“ Dieser Aspekt gewinnt auch im Zahnmedizinstudium an Bedeutung.

Lisa Strobelt, die inzwischen ihr Studium abgeschlossen hat und als Zahnärztin arbeitet, hat in einem Flyer für Patientinnen und Patienten mit Gesichtslähmung hilfreiche Tipps für tägliche Mundpflege zusammengestellt. Sie schreibt an ihrer Doktorarbeit, die sie 2023 einreichen möchte.

Weitere Informationen: Flyer Trotz Fazialisparese eine gute Mundgesundheit!

Originalbeitrag: ZWP Online (16.12.2022)



HNO-Klinik auf Behandlung von Gesichtsnerverkrankungen spezialisiert.

Die Symptome in ihrem Gesicht kommen urplötzlich: Auf einmal fühlt sich die Stirn unnatürlich glatt an und der rechte Mundwinkel gehorcht nicht mehr. Von jetzt auf gleich kann Sieglinde Strobel nicht mehr aus einer Tasse trinken, auch das Auge tränt. Beunruhigt ist sie zunächst nicht, sie denkt an ein Problem mit dem Kiefer und macht sich umgehend auf den Weg zu ihrer Zahnärztin. Die vermutet ob der Lähmungssymptome einen Schlaganfall und reagiert sofort. Die Jenaerin kommt als Notfall ins Universitätsklinikum Jena. Die Untersuchung durch die Neurologen bringt schnell Gewissheit: kein Schlaganfall, aber eine Gesichtsnervenlähmung, von Medizinern Fazialisparese genannt. Immerhin etwa 20 000 Menschen trifft die Erkrankung Jahr für Jahr deutschlandweit.

Sieglinde Strobel wird stationär in der HNO-Klinik am UKJ aufgenommen und erhält dort mehrere Tage Infusionen mit Kortison und virenhemmenden Medikamenten (Virostatika), um die Entzündung einzudämmen und Viren als möglichen Auslöser in Schach zu halten. „Bei der großen Mehrzahl der von einer Fazialisparese Betroffenen erholt sich der gelähmte Gesichtsnerv nach einer solchen Therapie wieder, die Erkrankung heilt nach und nach aus“, erläutert Dr. Gerd Fabian Volk. „Bei bis zu dreißig Prozent der Erkrankten allerdings wird sie chronisch mit anhaltenden Defiziten und oft dauerhaften Koordinationsstörungen der Gesichtsmuskulatur.“ Der Oberarzt an der HNO-Klinik leitet das seit 2012 bestehende Fazialis-Nerv-Zentrum am UKJ. Das Zentrum ist eine gemeinsame Einrichtung der Kliniken für HNO und Neurologie sowie des Lehrstuhls für biologische und klinische Psychologie am Institut für Psychologie an der Universität Jena.

Augen öffnen und schließen, Lächeln, die Stirn in Falten legen, die Nase krausen oder die Mundwinkel nach unten ziehen – solche Bewegungen produziert das Gesicht normalerweise unzählige Male am Tag. Verantwortlich dafür sind 23 verschiedene Muskeln je Gesichtshälfte. Angesteuert werden sie vom Gehirn durch den Gesichtsnerv (Nervus Facialis), der hinter dem Ohr in den Gesichtsbereich eintritt und sich dort verzweigt. Bei einer Fazialisparese funktioniert diese Ansteuerung wegen der Nervschädigung nicht. Erkrankte können zum Beispiel das Augenlid der betroffenen Seite nicht richtig schließen, die
Augenbraue nicht bewegen, Lippen und Mundwinkel lassen sich nicht richtig öffnen. Auch Geschmacksempfinden und Gehör können gestört sein.

Ursachen für den Nervschaden können zum Beispiel eine durch Zecken übertragene Borreliose, Herpes-Zoster- Viren, Tumoren der Ohrspeicheldrüse oder Verletzungen durch Unfälle oder Operationen sein – wobei das Ausmaß der Lähmung vom Schweregrad der Nervschädigung abhängt. Diagnostiziert wird unter anderem mittels Elektromyografie (EMG), bei der die elektrische Gesichtsmuskelspannung gemessen wird. Auch ein Hör- und Schmecktest, die Untersuchung des Gleichgewichtsorgans und Labortests – zum Beispiel zum Nachweis eines Borrelienbefalls – gehören zur Diagnostik.

Häufig ist eine konkrete Ursache aber auch nicht feststellbar, Mediziner sprechen dann von einer idiopathischen peripheren Fazialisparese. Eine solche Form hat Sieglinde Strobel, die Ende 2014 erkrankte, getroffen. „Ein Augenunterlid hing schlaff herab, die Augenbrauen konnte ich nicht bewegen, Lippen und Mundwinkel nicht heben“, blickt sie zurück. Große Probleme habe ihr die Lähmung beim Essen oder Trinken bereitet. „Es ging eigentlich nur mit Schnabeltasse oder Strohhalm.“ Der Leidensdruck sei hoch gewesen. Das erleben die Mediziner und Therapeuten im Fazialis-Nerv-Zentrum immer wieder. Dass die Mimik- und Funktionsdefekte im Gesicht für jeden sichtbar sind, macht sie für die Betroffenen auch psychisch belastend.

Sieglinde Strobel hat von einem besonderen Behandlungsverfahren profitiert, das sie einige Monate nach der Akutbehandlung am Fazialis-Nerv- Zentrum erhielt: ein Spezialtraining für die Hirnareale, die die Gesichtsmotorik steuern. Dabei üben die Patienten mit aufgeklebten Elektroden im Gesicht unter Anleitung eines Ergotherapeuten bestimmte Gesichtsbewegungen: Lächeln mit geschlossenem Mund und Grimassen ziehen zum Beispiel. Über die Elektroden, die mit einem Laptop verbunden sind, wird die Muskelaktivität während der Übung gemessen, Biofeedback lautet der Fachbegriff. Auf dem Bildschirm können die Patienten ihre Bewegungen auch ähnlich wie vor einem Spiegel in Echtzeit verfolgen.

„Zwar bildet der Gesichtsnerv nach einer Schädigung neue Sprossen aus, allerdings wachsen diese nicht so wie vorher“ erklärt Dr. Volk das Prinzip. „Zum Beispiel kann der eigentlich für Lidbewegungen zuständige Nervenast auf einmal an einem Mundmuskel andocken, so dass statt des Lids der Mundwinkel bewegt wird.“ Mit dem Fazialis-Parese-Training wird das Gehirn trainiert, diese vorhandenen Nervenfunktionen systematisch zu übernehmen. „Die im Gehirn abgespeicherten Bewegungsmuster werden sozusagen an die Fehlverschaltung des Nervs angepasst“, so der Mediziner. Bislang ist dieses Spezialtraining, das die Patienten auch nach der Entlassung aus der Klinik fortsetzen müssen, allerdings kein Standardverfahren. Psychologen und Ärzte des Fazialis-Nerv-Zentrums erforschen seine Wirksamkeit an ausgewählten Patienten in einer Studie, an der auch Sieglinde Strobel teilgenommen hat. Die 63-Jährige ist mit dem Ergebnis zufrieden und trainiert jetzt weiter täglich zu Hause vor
dem Spiegel – mehr als zwei Jahre nach ihrer Erkrankung. Denn das dauerhafte Training sei einer der Faktoren für den Behandlungserfolg, betont Dr. Volk.

Das UKJ ist als eine von nur wenigen Kliniken in Deutschland auf die Behandlung von Gesichtsnerverkrankungen spezialisiert. Davon profitieren vor allem auch Patienten, bei denen eine chronische Lähmung auf eine Nervenverletzung durch Entzündungen, Unfälle oder bei Operationen zurückzuführen ist. An der HNO-Klinik können verletzte Gesichtsnerven in Operationen wiederhergestellt werden – ein Schwerpunkt von Klinikdirektor Prof. Orlando Guntinas-Lichius. Seit 2006 wurden über 80 dieser Operationen an der Klinik ausgeführt.

Quelle: Kliniksmagazin 02/2017

Fotos und Autor: Katrin Zeiß



Autor: Anne Ziebarth

Zwei junge Frauen gründen die erste Fazialisparese-Selbsthilfegruppe in Vorpommern. Die Ursachen für die halbseitigen Lähmungserscheinungen des Gesichts sind weitgehend unbekannt. Was die Krankheit mit Betroffenen macht, erzählen Katharina Kohl und Josephine Fuchs aus Greifswald.

Nein, auf den ersten Blick sieht man als Laie tatsächlich nichts. Die beiden attraktiven jungen Frauen, die sich im Greifswalder Theatercafé treffen, wirken selbstbewusst, modern und aufgeschlossen. "Ja, das hören wir oft", sagt Josephine Fuchs und lächelt gequält. "Aber glauben Sie uns. Ein, Nichts' ist eine Fazialisparese nicht. Ist der Satz so richtig?". Tatsächlich fällt einem bei genauerer Beobachtung eine leichte Asymmetrie in den Gesichtern der beiden auf. Ist das eine Auge etwas kleiner? Das Lächeln auf der linken Seite ein bisschen ausgeprägter?

Josephine Fuchs und Katharina Kohl leiden unter einer einseitigen Gesichtslähmung, einer Nervenschädigung, die auch die Medizin noch vor viele Rätsel stellt. "Man vermutet, dass Herpesviren dahinterstecken", sagt der Greifswalder Neurochirurg Prof. Henry Schroeder. "Die Erkrankung tritt in den meisten Fällen vom einen auf den anderen Tag auf. Bei vielen Patienten bessern sich die Lähmungennach kurzer Zeit wieder und verschwinden dann ganz. Manchmal aber auch nicht. Mit drastischen Auswirkungen auf die Betroffenen."

Von einem auf den anderen Tag Gelähmt

"Ich war 14 Jahre alt und gerade im Urlaub in Venedig", erinnert sich Josephine Fuchs an das Auftreten der Krankheit. "Zunächst hatte ich so ein Kratzen am Auge, es hat sich angefühlt wie ein Gerstenkorn." Am nächsten Tag dann der Schock. "Ich habe keine Schmerzen gehabt, aber das Trinken aus einem Glas klappte plötzlich nicht mehr. Das Wasser lief mir aus dem Mund." Der Blick in den Spiegel brachte Gewissheit: Hier stimmte etwas nicht: Die rechte Gesichtshälfte hing schlaff herab. Zu Hause in Greifswald ging es sofort auf die Kinderstation, ein erster Verdacht auf Borrelien bestätigte sich nicht. "Im Endeffekt habe ich viel Physiotherapie bekommen und die Lähmung ist auch zunächst besser geworden", erinnert sich die heute 36-Jährige. "Aber weg ist sie eben nicht." Bei Katharina Kohl war die Situation ganz ähnlich. Sie kämpft seit neun Jahren mit der Beeinträchtigung. "Die Lähmung kam vom einen auf den anderen Tag", erzählt die 35-jährige Ergotherapeutin. "Bei mir kamen vorher leichte Ohrenschmerzen dazu. Auch ich war im Urlaub und dachte noch, ich hätte mich erkältet." Als die Lähmung voll ausgeprägt war, bekam sie Panik. "Man denkt ja zunächst an einen Schlaganfall." Aber Untersuchungen konnten das ausschließen, auch die Besuche beim Zahnarzt blieben ohne Ergebnis. Beim Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten schließlich erkennt man das Problem, es gab wie bei Josephine Fuchs auch Physiotherapie, Übungen für die Gesichts-muskulatur.

Behandlungsmöglichkeiten sehr Begrenzt

Die Möglichkeiten der Behandlung sind begrenzt, in späterem Stadium gelten die Nervenschäden als irreversibel. "Man kann unmittelbar nach dem Auftreten versuchen, mit einem Virostaticum gegenzusteuern", sagt Prof. Henry Schroeder. "Das wirkt aber auch nicht immer und hätte sofort erfolgen müssen." Chirurgisch könne man in besonders schweren Fällen Nervengewebe aus dem eigenen Körper transplantieren, etwa aus der Zunge. Ansonsten sind die Möglichkeiten begrenzt: Metallimplantate können helfen, den Lidschluss zu verbessern, Botox wird eingesetzt, um die Mimik unter Kontrolle zu bekommen. Der Alltag mit dem Leiden ist hart. "An vielen Tagen fühle ich mich einfach nur schrecklich", sagt Josephine Fuchs ganz offen. "Wenn zum Beispiel ein kalter Wind weht und man genau weiß, jetzt kommt der eine Mundwinkel wieder nicht mit. Ich will dann nicht mehr lächeln." Sie könne auch nicht mal eben einen Luftballon für einen Kindergeburtstag aufblasen. Ihre kleine Tochter habe ihr vor kurzem gesagt: "Du trickst mich aus. Du lächelst, aber in Wirklichkeit lächelst du gar nicht."

Aussprache: "Konfitüre" statt "Marmelade"

Die Kleinigkeiten summieren sich,. Vor allem, in Gesellschaft zu sein, sei schwierig. "Man konzentriert sich die ganze Zeit darauf, wie das Gesicht wohl aussieht, man spürt das ja auch", so Josephine Fuchs, die derzeit in Elternzeit ist. "Ich meide bestimmte Buchstaben beim Sprechen", ergänzt Katharina Kohl. "Ich sage zum Beispiel nicht mehr ‚Marmelade', sondern ‚Konfitüre', weil das, M' immer zu einem unkontrollierbaren Zucken im Auge führt." Fotos sind für die beiden ein rotes Tuch. "Ich musste Passbilder machen lassen. Mit der rechten Gesichtshälfte habe ich verzweifelt versucht, genauso auszusehen wie auf der linken Seite", beschreibt Katharina Kohl. "Das war unglaublich anstrengend und traurig." Dem Fotografen wollte sie nichts über ihre Erkrankung sagen. "Nun entspannen Sie doch endlich mal das Kinn", war dann auch der einzige Kommentar. "Mir war nach Heulen zumute", sagt sie.

Auf der Suche nach Ansprache und Austausch

Mit das Schlimmste: Für Freunde und Verwandte ist das Thema irgendwann abgehakt, das Leiden können die Wenigsten nachvollziehen. "Ich habe dann ebenfalls versucht, die Krankheit zu ignorieren", beschreibt Josephine Fuchs. "Das hat aber nicht geklappt. Ich habe so dringend jemanden zum Reden gesucht, jemanden, der mich versteht." Durch die Stadt gegangen sei sie, mit dem Blick immer die Gesichter der Passanten absuchend. "Könnte die eventuell auch Fazialisparese haben? Oder er?" Im Dezember schaltete sie eine Kleinanzeige bei Ebay auf der Suche nach ebenfalls betroffenen Frauen in Greifswald zur Gründung einer Selbsthilfegruppe. Es meldete sich genau eine: Katharina. "Wir haben uns getroffen, uns angesehen und sofort erkannt", sagt Josephine Fuchs. "Seitdem bilden wir zu zweit die Selbsthilfegruppe, Halbwegs schön'. Wir treffen uns regelmäßig, tauschen uns über Behandlungsmöglichkeiten zur Linderung aus, recherchieren und erzählen. Es gibt viele Foren im Internet, aber das wollten wir nicht. Das reale Treffen ist viel besser." Ein großes Ziel haben sich die beiden vorgenommen: "Es gibt ein Fazialis-Nerv-Zentrum an der Universitätsklinik Jena", sagt Katharina Kohl. "Dort kann man an einem teilstationären Training teilnehmen. Das wollen wir beide sehr gern machen."

Betroffene Frauen und Mädchen Gesucht

Für ihre Selbsthilfegruppe "Halbwegs schön" suchen die beiden noch Mitstreiterinnen jeglichen Alters zum gemeinsamen Treffen in Greifswald, ganz gleich, ob ein Schlaganfall die Ursache ist oder etwas anderes. "Uns hat es so gut getan, über unsere Probleme zu sprechen", so Josephine Fuchs. "Wir würden uns freuen, wenn andere Frauen den Weg zu uns finden." Interessentinnen, zunächst soll die Gruppe auf Frauen beschränkt bleiben, melden sich bitte unter:

halbwegs.schoen@gmail.com

Quelle: Ostsee-Zeitung Rügen vom 01.02.2020, Seite 12

Autor: Anne Ziebarth



Fazialisparese: Auch Mundgesundheit betroffen

Eine Fallkontrollstudie des Universitätsklinikum Jena zeigte, dass die Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten mit Fazialisparese im Vergleich zu Gesunden vermindert ist. Foto: Astrid Wetzel/UKJ

Halbseitige Gesichtslähmungen wirken sich auch auf den Gesundheitszustand von Zähnen und Zahnfleisch aus. Eine Fallkontrollstudie des Universitätsklinikum Jena zeigte, dass die Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten im Vergleich zu Gesunden vermindert ist. Auch im Seitenvergleich schnitt die gelähmte Gesichtshälfte schlechter ab als die nicht betroffene Seite. Das Autorenteam der in PLOS ONE veröffentlichten Studie empfiehlt deshalb die Ergänzung der Behandlung um zahnmedizinische Kontrollen.

 Jena (vdG/UKJ). Die meisten Betroffenen fühlen sich schwer beeinträchtigt, wenn durch eine Erkrankung des Gesichtsnervs die Muskulatur im Gesicht unbeweglich wird. Das Sprechen fällt schwer, die Mimik ist eingeschränkt, Essen und Trinken bereiten Probleme. Das führt dazu, dass die oft auf eine Gesichtshälfte beschränkte Lähmung, die als Fazialisparese bezeichnet wird, auch als psychisch sehr belastend empfunden wird und sich Patientinnen und Patienten sozial zurückziehen.  Wegen der Komplexität der Erkrankung, die zum Beispiel nach Operationen oder Infektionen auftreten kann und in einem Drittel der Fälle nicht vollständig abklingt, kümmert sich im Fazialis-Nerv-Zentrum am Universitätsklinikum Jena ein interdisziplinäres Team um die Betroffenen.

Ein wichtiger Aspekt dieser Behandlung ist die Vermeidung von Folgeschäden. Dazu zählt zum Beispiel eine regelmäßige augenärztliche Kontrolle, weil auf der gelähmten Seite Lidschluss und Tränenproduktion beeinträchtigt sein können. „Es wird auch beobachtet, dass die Patienten Probleme mit der Mundhygiene und daraus resultierend mit der Zahn-und Mundgesundheit haben“, so Lisa Strobelt, „dazu gab es aber unseres Wissens noch keine systematischen Analysen.“ Die inzwischen approbierte Zahnärztin machte deshalb eine Untersuchung der Mundgesundheit von Patientinnen und Patienten mit Fazialisparese zum Thema ihrer Doktorarbeit. 

Insgesamt 86 Personen nahmen an der Studie teil, die Hälfte mit einer Fazialisparese, die andere mit gesunder Gesichtsmuskulatur. Lisa Strobelt bestimmte bei allen mehrere zahnmedizinische Indizes, um die Mundgesundheit einschätzen und vergleichen zu können. Sie untersuchte, wie fest die Zähne sitzen, wieviel Zahnbelag und Zahnstein vorhanden ist, ob Zähne kariös sind und wie viele Füllungen sie aufweisen, wie tief die Zahnfleischtaschen sind und ob das Zahnfleisch zu Blutungen neigt. In der Paresegruppe erhob sie diese Werte sowohl für die gelähmte als auch für die andere Gesichtshälfte. Außerdem beantworteten die Studienteilnehmer Fragen zu ihrer Zahnhygiene und der Einschätzung der eigenen Mundgesundheit.

Das Ergebnis: In der Studiengruppe mit Fazialisparese traten deutlich häufiger Zahnbelag, Zahnfleischbluten und unbehandelte Karies auf als in der Kontrollgruppe. Zahnstein und Zahnlockerungen waren jeweils etwa gleich häufig. Der Vergleich der Gesichtsseiten in der Paresegruppe zeigte, dass die gelähmte Seite weitaus mehr von Zahnbelag, Zahnfleischbluten und -taschen, von Parodontitis und daraus folgend von einem Abbau des Zahnhalteapparates betroffen war als die gesunde Seite. Dieser Seitenunterschied war bei Männern deutlicher als bei Frauen. Es spielte auch eine Rolle, welche Seite gelähmt ist und mit welcher Hand die Zahnbürste geführt wird: Bei Rechtshändern mit einer linksseitigen Parese fiel der Seitenunterschied geringer aus. Dieser Effekt war jedoch nicht signifikant.

Die Einschätzungen der Studiengruppen zu ihrer Mundhygiene ergänzen diese Befunde. Über die Hälfte der Paresegruppe behielt mit Einsetzen der Lähmung die Zahnputzgewohnheiten bei, ein Teil wechselte wegen der veränderten Empfindlichkeit von der elektrischen auf eine Handzahnbürste. Die mangelnde Beweglichkeit und Lippenschluss führten dazu, dass manche Patienten Zahnseide und Mundspülung seltener einsetzten. Die Mehrzahl der Paresebetroffenen berichtete von häufigen Bissen in die Wange, Speiseresten in der Wangentasche und Speichelfluss im Mundwinkel auf der gelähmten Seite. Zahnarztbesuche waren seltener als in der Kontrollgruppe.

„Mit unserer systematischen Untersuchung konnten wir detailliert belegen, dass eine Fazialisparese durch die veränderte Motorik und Speichelproduktion die Mundgesundheit deutlich beeinträchtigt“, fasst Lisa Strobelt, zusammen, „deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen ihre Mundhygiene nicht vernachlässigen.“ „Das ist eine wichtige Ergänzung für unser Behandlungskonzept. Wir weisen unsere Patientinnen und Patienten jetzt auf dieses vorher kaum bekannte erhöhte Risiko für ihre Zähne hin und raten, zahnärztliche Kontrollen, aber auch das vor der Fazialisparese gewohnte Zähneputzen nicht aufgrund der Lähmung zu vernachlässigen“, ergänzt PD Dr. Fabian Volk, der Leiter des Jenaer Fazialis-Nerv-Zentrums.

Der HNO-Arzt betreute das Projekt gemeinsam mit der Zahnärztin PD Dr. Ina Schüler, die die Sektion Präventive Zahnheilkunde am Uniklinikum Jena leitet. Sie betont die Interdisziplinarität der Studie: „Sie zeigt, wie wichtig es ist, dass sowohl die Zahnmediziner den gesamten Menschen als auch die Humanmediziner die Mundhöhle im Blick haben und die möglichen Auswirkungen von Erkrankungen auf die Mundgesundheit berücksichtigen können.“ Dieser Aspekt gewinnt auch im Zahnmedizinstudium an Bedeutung.

Lisa Strobelt, die inzwischen ihr Studium abgeschlossen hat und als Zahnärztin arbeitet, hat in einem Flyer für Patientinnen und Patienten mit Gesichtslähmung hilfreiche Tipps für tägliche Mundpflege zusammengestellt. Sie schreibt an ihrer Doktorarbeit, die sie 2023 einreichen möchte.

Weitere Informationen: Flyer Trotz Fazialisparese eine gute Mundgesundheit!

Originalbeitrag: ZWP Online (16.12.2022)